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Nicht glattrasiert. Filme von Ulrich Weiß im Arsenal

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Jenseits der Klassiker des DEFA-Films breiten sich sehr schnell weiße Flecken aus. Diese bestimmen vor allem in Bezug auf die späten DEFA-Produktionen ab den 1980er Jahren das Gesamtbild; zehn Jahre, die noch nicht im Blick der Filmgeschichtsschreibung angekommen sind und die viele, die die Filme nicht schon von früher kennen, vor die Aufgabe stellen würden, bräsig-mediokre Ideologie von Innovativem mit Willen zum Film jenseits der Eindeutigkeit zu trennen. Die Reihe mit Filmen von Ulrich Weiß, die Erika Richter für das Arsenal in Berlin kuratiert hat, läßt erahnen, wie vielversprechend diese mühselige Arbeit sein könnte.

Weiß‘ Willi Bredel Verfilmung Dein unbekannte Bruder hätte der erste (?) Cannes-Beitrag der DDR werden können. Dass die Verantwortlichen dies schließlich verhinderten, bedrückt.1 Der Film ist von einem Gestaltungswillen und einer Suche nach Bildern wie er im deutschen Kino selten ist. Die DEFA Stiftung berichtet, nach der verhinderten Aufführung in Cannes hätten westdeutsche Medien und die Kirche die Zuschauer ermutigt, sich den Film anzuschauen, den sie als Gleichnis auf die DDR-Gegenwart verstanden; eine Lesart, die auf ein weiteres Problem im Umgang mit der Filmproduktion der DDR hinweist: jede Abweichung vom filmischen Phrasendreschen als Dissidenz zu beschreiben, verkennt die Vielfalt, die auch innerhalb der DEFA-Produktionen möglich war, wenn der nötige Mut aufgebracht wurde. Die Filme von Ulrich Weiß zeigen wie die von Hannes und Sybille Schönemann was bisweilen auch ging.

Weiß‘ Version der Geschichte des kommunistischen Widerstandskämpfers Arnold Clasen (nicht immer gut gespielt, aber brilliant verkörpert von Uwe Kokisch), der 1935 aus dem Gefängnis kommt und weiter aktiv bleibt, reanimiert die längst unter filmischen Floskeln begrabene antifaschistische Tradition der DEFA.2 Die Bilder, die Weiß für die Wahnhaftigkeit des Nationalsozialismus findet, sind ebenso präzise wie vielschichtig: der Tabakhändler etwa, der Clasen eine Blockwartsstelle verschaffen möchte und schließlich am gekündigten Kredit für seinen Laden zerbricht, ist tragische Figur und Fanatiker zugleich. Die Industriellen hingegen, die bei einem Empfang ihren Frauen in rhythmisierten Bewegungen ihre Sektgläser in die Hand drücken, um freie Hand zu haben, sich zu opportunistischen Klaqueuren zu erniedrigen, sie sind in ihrer Erbärmlichkeit strukturelle Analyse und Groteske.

http://www.youtube.com/watch?v=v_KtGrQ2UEw

Dieser Diktatur der Groteske stellt Weiß Arnold Clasen gegenüber, der den ganzen Film hindurch Fremdkörper bleibt. Zu Beginn scheint es, als würde Clasen, in der Isolation seiner Wohnung zunehmend am Druck, der auf ihm lastet zerbrechen. Clasen bleibt allen anderen Charakteren des Films fremd. Eine Fremdheit, die Weiß unter anderem ins Bild rückt, indem Clasen der einzige ist, der konsequent Bart trägt und in einigen Szenen durch Brustbehaarung beeindruckt. Den glattrasierten Zeitgenossen stellt Weiß Clasens Sperrigkeit gegenüber. Die Radikalität des Films besteht darin, dass Clasen ebenso sehr Fremdkörper bleibt gegenüber der sich faschistisierenden Mehrheit wie im Umgang mit der klandestinen KPD. Weiß‘ Film inszeniert Clasen eben nicht als kommunistischen Superhelden-Märtyrer.

Wer den Film nicht als dissident zu lesen versucht, wird in eine Kritik an offiziellen Geschichtsmythen erkennen. Neben dieser Kritik vielleicht noch die melancholische Überlegung, wie mit all jenen umgegangen wurde, deren Widerstand nicht heroisch war. Ob in der Helden verehrenden Überhöhung der Widerstandskämpfer_innen und der mit ihr einhergehenden Selbsterniedrigung der übrigen nicht der Versuch durchschimmert, sich von der Verpflichtung zu Widerstand zu befreien. Eine Entschärfung der politischen Relevanz des Widerstands.

Gegen den Film haben das Politbüromitglied Hermann Axen und andere eingewandt, er zeige nicht wie es gewesen sei. Eine vollkommen zutreffende Bemerkung, nur fragt sich, wer den Film sieht, wie das bei einem Film der seines Regisseurs Allergien gegen historistischen Firlefanz geradezu herausschreit, Kritik sein kann. Weiß historische Reinszenierung ist näher an de Oliveira und einer entkünstelten Ulrike Ottinger als an den historisch präziseren Bedeutungslosigkeit von Rainer Simons Die Frau und der Fremde. Als hätte Weiß die Einwände vorweggenommen, bekommt die Bildsprache in Dein unbekannter Bruder gegen Mitte nach einer symbolischen Szene in einem Nachtklub zunehmend Brüche. Ein Drang der Narration bricht durch, Weiß erzählt parallel den Weg von Clasens Verbindungsmann Walter (Michael Gwisdek) in den Verrat. Clasen schöpft früh Verdacht gegen Walter, bleibt mit dem Verdacht jedoch allein und wird schließlich von Walter verraten. Michael Gwisdek wird auch die Hauptrolle in dem Film spielen, den Ulrich Weiß anschließend und nahezu nahtlos inszeniert: Olle Henry (DDR 1983).

Die Kritik an Weiß‘ Film war bedrückend, aber es gab auch Stimmen, die den Film verteidigten: So nahm sich Günter Sobe schon 1984 im Kino- und Fernseh Almanach den Film vorsichtig in Schutz und bemerkte: „Man wird sich aber mehr und mehr darauf einrichten müssen, daß gerade hier eine neue Aufarbeitungssicht einziehen wird, weil jüngere Regisseure, die keine direkte Begegnung mit jener Zeit hatten, entsprechende Stoffe inszenieren werden.“ Und Fred Gehler, der an einer ganzen Reihe von Filmen von Weiß mitgearbeitet hatte, interviewt Weiß 1982 unter dem Titel Nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu sagen für den Sonntag.3

Schon Weiß zweiter Spielfilm Blauvogel, entstanden im Kinderfilmstudio der DEFA, zeigt das Interesse des Regisseurs immer ein wenig an der Handlung vorbei zu erzählen, das sich auch in der Art wie Weiß Bredel adaptiert, zeigt. Der Film schildert das Heranwachsen des englischen Siedlerkindes George Ruster, der mit etwa zehn Jahren von Irokesen entführt wird, bei diesen aufwächst und schließlich im Rahmen eines „Friedensvertrags“ zu seiner Familie zurückkehren muß.

Die Stärke des Films ist zweifellos sein Ende. Georges unfreiwillige Rückkehr zu seiner Familie und die beklemmende Fremdheit die aus den Szenen in der Familie spricht, ist beeindruckend. Die Bilder ähneln Szenen nach einem Coming-Out – eine Fremdheit, die keiner benennt, gleichzeitige Gefühle von Nähe und Ferne.
Ein Wermutstropfen ist, dass auch dieser Anti-Western mit seinem Einsatz rumänischer Statisten als „Indianer“ im exotistischen Paradigma europäischer Blicke gefangen bleibt. Man mag gewillt sein, es dem Film nachzusehen, schließlich waren auch Irokesen, Bewohner_innen des „nicht-sozialistisches Wirtschaftsgebiets“. Dennoch wenn der Komponist des Films im Defa-Jahrbuch seine Musik damit zu rechtfertigen, dass „nichtgehörte Klänge gefunden werden.“ mußten und dann ein Potpourri von exotelndem zu hören ist, stößt das eher unangenehm auf.

Dennoch: wenn die übrigen Filme des Programms nur halb so gut seien sollten, wie diese beiden (und sie sind sicher mehr als das) hat die Ulrich Weiß Reihe gute Aussichten, die wichtigste Reihe zu deutschsprachigem Film des Jahres zu sein. Das Programm zur Reihe findet sich: hier.
Mehr zu Ulrich Weiß unter anderem auf der Personenseite.

  1. Die Geschichte der Verfilmung des 1937 erschienenen Romans ist interessant. So berichtet Theodor Venus in seinem Beitrag zu Béla Balász, dass Bredel Balász 1938 die Verfilmung des Buches durch Leonid Trauberg angeboten habe. vgl. Theodor Venus: Béla Balász. Filmtheorie im Exil, in: Friedrich Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft: Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, 1930-1940, Band 2, Münster: LIT 2004, S. 863-  hier: S. 878
  2. Clasens Job als Kinovorführer, übrigens eine der Stellen, an denen Kokisch ziemlich wenig überzeugt, wenn er neben dem Projektor post, hat offenbar den Hintergrund, dass Bredel in der Buchvorlage ausführt, Kinobetreiber hätten, um die Arbeitslosen von der Straße zu holen, eine steuerlich Begünstigung für Nachmittagsvorstellungen bekommen.  So Gerd-Peter Rutz: Darstellungen von Film in literarischen Fiktionen der zwanziger und dreissiger Jahre, Münster: LIT 2000, S. 198.
  3. Nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu fragen? Gespräch von Fred Gehler mit Ulrich Weiß, in: Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 22, 1982. Online auf der Filmportal Materialienseite zu Dein unbekannter Bruder. Dort auch Fred Gehlers Besprechung des Films: Was kann ein Mensch ertragen?, in: Film und Fernsehen, Berlin/DDR Nr. 8, 1982. Lesenswert auch die Interpretation von Daniela Berghahn in Hollywood behind the Wall: the cinema of East Germany, Manchester: Manchester UP, 2005, S. 82f.

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